Neues Jahr – neues Glück! Oder: mehr digitale Zuversicht wagen

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Mehr digitale Zuversicht wagen 

Eine Kommentierung von Johannes Rosenboom 

Neues Jahr – neues Glück!
Oder: mehr digitale Zuversicht wagen

Das Jahr 2025 mit einer dann neu gewählten Bundesregierung muss als neue Chance für die Verwaltungsdigitalisierung genutzt werden. Die Zeit drängt.  

  • Noch immer deutliche Rückstände bei der Verwaltungsdigitalisierung 
  • Steigende Herausforderungen verschärfen Handlungsdruck für neue Regierung 
  • Souveräne und resiliente Aufstellung im Bereich der Digitalisierung ist Gebot der Stunde 
  • Kommt ein Digitalministerium auf Bundesebene? Welche Varianten sind aktuell in der Diskussion? 

Die diversen nationalen und internationalen Studien zum (mäßigen) Stand der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland sind bekannt. Zuletzt beispielsweise der von der Initiative D21 erhobene eGovernment Monitor 2024 oder der Digital Economy Society Index der EU (kurz: DESI). In letzterem führen skandinavische und baltische Staaten regelmäßig als so genannte Frontrunner das Feld an, während Deutschland insbesondere in der Rubrik Digital Public Services unterhalb der EU-Durchschnittswerte im letzten Drittel verharrt. Genauso mäßig sind die bescheidenen Evaluierungsergebnisse der OZG-Umsetzung und des damit verbundenen EfA- bzw. Nachnutzungskonzepts oder die verheerende Einschätzung des Bundesrechnungshofes zur Betriebs- und Dienstekonsolidierung Bund. Auch die digitale Leistungsbilanz der einst als Fortschrittskoalition gestarteten und dann vorzeitig geplatzten Ampel-Regierung ist insgesamt übersichtlich. Laut Bitkom „Monitor Digitalpolitik“ wurden nur 31 Prozent der selbstgesteckten Digitalvorhaben der Ampelkoalition umgesetzt. 

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Ohne Zweifel hat die Legislative und Exekutive in nahezu allen Bereichen noch einiges aufzuholen, will sie die öffentliche Verwaltung ertüchtigen, Ende-zu-Ende durchgängig digitalisierte Services sowohl für Unternehmen, Bürger und Bürgerinnen und letztendlich auch für sich selbst und den Standort Deutschland anzubieten. Auf die neue Bundesregierung warten nach dem 23. Februar 2025 überfällige Aufgaben der Staatsmodernisierung, Entbürokratisierung und der umfassenden Verwaltungsdigitalisierung. Auch weil der exogene Druck und die Erwartungshaltung an die (digitale) Leistungsfähigkeit eines Staates wie Deutschland (zu Recht) steigt. 

Schlaglicht I: Für acht von zehn Unternehmen ist die fehlende bzw. mangelhafte Digitalisierung der Verwaltung ein wirtschaftlicher Standortnachteil. Neun von zehn Unternehmen sehen sie sogar als Bremsklotz für die Digitalisierung des eigenen Unternehmens (beide aus Bitkom-Unternehmensbefragung 2023). 

Schlaglicht II: Laut ifo-Institut könnte ein Digitalisierungsschub in Deutschland auf das Niveau von Dänemark das pro Kopf BIP um 2,7 Prozent steigern, was einer jährlichen Wirtschaftsleistung von ca. 96 Milliarden Euro entspricht (vgl. Ifo-Institut, Kosten der Bürokratie, 2024). 

Schlaglicht III: Nur knapp über 50 Prozent der Bürger und Bürgerinnen schätzen den allgemeinen Digitalisierungsgrad ihrer Stadt oder Gemeinde als fortgeschritten an (vgl. Bitkom-Studie „Digitalisierung der Verwaltung“, 2024). 

In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft manifestieren sich Politikverdrossenheit und eine skeptische Haltung gegenüber der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie in steigenden Wahlergebnissen für populistische „Blockade”-Parteien, denen es weniger um tragfähige Lösungen und das im gesellschaftlichen Konsens Gelingende geht, sondern um einen grundsätzlichen Systemwechsel. Bisher in Deutschland eher unbekannte Verhältnisse fragiler Regierungsmehrheiten und instabiler Koalitionsbündnisse werden zur neuen politischen Normalität – die Landtagswahlergebnisse aus Ostdeutschland lassen grüßen.  

Die nächste Bundesregierung wird – Achtung: provokante These – wahrscheinlich vorerst die letzte sein, die aus einer stabilen Mehrheit der demokratischen Mitte heraus, größere, föderalübergreifende Strukturreformen, Gesetzesänderungen und Programme – auch im Bereich der Digitalisierung – durchsetzen kann.  

Die Herausforderungen für Deutschland werden dabei in Zeiten von Kriegen, Krisen, knapper werdenden finanziellen Spielräumen und der politischen Disruption in den USA immens beziehungsweise überdringlich. Deutschland und Europa müssen in allen Belangen souveräner und resilienter werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die protektionistischen und „chauvinistischen“ Politiktendenzen in den USA, wo internationale Politik nicht im Aushandeln von Kompromissen in unilateral geltenden Rahmen verstanden wird, sondern als bilaterales Deal-Making in Verbindung mit dem Recht des Stärkeren. Die USA unter Trump und Musk verfügen dabei als größter Außenhandelspartner Deutschlands und globaler IT-Player über ein hohes „Erpressungspotenzial“, insbesondere durch die dominierenden US-amerikanischen Tech-Riesen und Public Cloud-Angebote.  

Vor allem im Bereich der Digitalisierung ist es daher dringend notwendig, sich in den zukunftsentscheidenden Feldern souveräner und robuster aufzustellen: von Cloud-Services und Cyber Security, über KI bis hin zur Daten- und Prozesshoheit. Dies gilt bei der ohnehin schon rückständigen Digitalisierung der allgemeinen öffentlichen Verwaltung. Aber auch für die branchenspezifische Digitalisierung des Staatswesens wie zum Beispiel in der Verteidigung (Stichwort: Software Defined Defense) oder in der Justiz (u. a. der KI-gestützte Richterarbeitsplatz). Das Heben der (souveränen) digitalen Rendite muss noch entschlossener vorangetrieben werden und eignet sich nicht für verwässerte Minimalkompromisse, Schuldenbremsen-Fetische oder politisch motivierte Koalitionsspielchen. Diese Zeit hat der Standort Deutschland nicht mehr. 

Kommt ein Digitalministerium auf Bundesebene? 

Aber zurück zum 23. Februar und einer dann neuen Bundesregierung, die sich die Frage nach einem Digitalministerium auf Bundesebene stellen muss, um dem erfolgskritischen Thema Digitalisierung mehr Gewicht und Durchschlagskraft am Kabinettstisch zu verleihen. 

Zu den inhaltlichen Kernthemen gehören zum Beispiel, das Once-Only-Prinzip auch gesetzlich zu verankern, digitale Nachweistypen für sektorübergreifende Dienste zu ermöglichen und die Stärkung der digitalen Souveränität durch Lösungen Made in Germany bzw. Europe voranzutreiben. Darüber hinaus müssen zentrale und übergreifende Digitalvorhaben eine stärkere politische, finanzielle und strategische Aufmerksamkeit erhalten. Und zwar auf allen Gebietskörperschaftsebenen. Sprich: Hier ist der übergreifende politische Wille zur Neuordnung der digitalpolitischen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen notwendig. 

Schlaglicht IV: Langfristige, übergreifende Infrastrukturthemen – zu denen weite Teile der Verwaltungsdigitalisierung zweifelsfrei zählen – müssen in den Kommunen auch dauerhaft von Bund und Ländern co-finanziert werden. Die heute nur punktuelle Projektfinanzierung (z. B. von Smart City Projekten) in Abhängigkeit von befristeten Förderprogrammen kommen häufig nur ausgewählten (Modell-)Kommunen zugute und entfalten kaum eine nachhaltige, flächendeckende Wirkung für Bürger und Unternehmen.  

Trotz aller Fortschritte, die mit der (zaghaften) Weiterentwicklung einer zentralen Digitalzuständigkeit im BMDV unter der Ampel-Regierung gemacht worden sind, gibt es zahlreiche hauptsächliche Umsetzungsherausforderungen:  

  • die nach wie vor starke Zersplitterung der Digitalthemen über die Bundesressorts hinweg 
  • die häufig bloße Aneinanderreihung von solitären und zum Teil redundanten „Leuchtturmprojekten“  
  • die mangelhafte Umsetzung in der (föderalen) Fläche einhergehend mit fehlenden, einheitlichen Betriebsstrukturen  
  • die fehlende, übergreifende IT-Governance (dabei auch Standardisierung) 
  • die fehlende längerfristig stabile Finanzierungssicherheit

Vor diesem Hintergrund stellt sich in der kommenden Legislaturperiode erneut die Frage nach einem eigenständigen Digitalministerium. Wenn man den veröffentlichten Wahlprogrammen der maßgeblichen Parteien und darüber hinaus dem Berlin-Mitte-Funk folgt, dann zeichnen sich derzeit folgende Varianten in der politischen Diskussion ab:  

1. Alles bleibt so wie es ist 

Weiter so mit einer vielfältigen Zuständigkeit, verteilt über mehrere Ressorts und dort in zig Abteilungen. Begründung für das Beibehalten des Status Quo: eine komplette Um- bzw. Neuressortierung würde zu lange dauern und zu teuer werden. Zudem ließe sich dem Wahlvolk die Schaffung eines neuen Ministeriums mit einem entsprechenden Stellenaufwuchs politisch auch nur schwer verkaufen.   

2. Modell „Zwischenlösung“: Staatsminister:in im Kanzleramt

Die Beauftragte für Digitalisierung Dorothee Bär lässt grüßen. Da damals außer Ankündigungen wie Flugtaxis wenig Handfestes erreicht wurde, gibt es Überlegungen, die wiederbelebte Rolle zumindest mit einer eigenen kleinen Abteilung auszustatten. Aber: Will sich ein neuer Kanzler die komplexe Materie Digitalisierung mit einem hohen Umsetzungsrisiko wirklich direkt ins Haus holen? 

3. Eigenständiges Digitalisierungsministerium

Mit komplettem Verwaltungsunterbau – also Staatssekretär:innen, Abteilungen usw. Bestehende Abteilungen zum Beispiel aus dem BMI wie DG und DV würden dann per Organisationserlass in das neue Ministerium geshiftet. Aber: eigenes Budget bzw. eigener Einzelplan im Haushalt? Wenn ja, dann auch auskömmlich groß, um wirklich handlungsfähig zu werden? Zuständigkeitsschnitt „nur“ für die Verwaltungsdigitalisierung (vgl. den heutigen BMI-Digital-Themen) oder auch darüber hinaus? Mit eigenem nachgeordneten Behördenbereich (auch für die Betriebsumsetzung)? 

4. Ein Bundesministerium für Digitales und Innovation 

Hier würde man den heutigen Digitalanteil des Bundesverkehrsministeriums deutlich erweitern. Nicht nur bestehend aus Aufgaben der digitalen Infrastruktur wie Glasfaserausbau und Mobilfunknetze (wo unter Minister Wissing durchaus Fortschritte gemacht wurden), sondern es würde ein umfassender Zuständigkeitsbereich für Digitalisierung geschaffen. Sprich: alle relevanten Abteilungen aus dem jetzigen Zuschnitten des BMDV, BMI, BMWK usw. und auch der relevanten Bundesbehörden wie z. B. BSI, ITZBund und BDBOS würden in das Ressort des neuen Ministeriums transferiert.  

5. Bundesministerium für Infrastruktur und Digitales 

Der große Wurf – eine Art Infrastruktur-Superministerium – bestehend aus Verkehrs-, Telekommunikations-, Energieinfrastrukturen (siehe Analogien zur KRITIS-Regulierung) und Digitalisierung. Dann kämen als „Unterbau“ zusätzlich auch noch Bundesbehörden wie die Bundesnetzagentur mit in den Scope. 

Und als gäbe es nicht schon genug Agenturen und halbstaatliche Einrichtungen im Digitalen, die nach kritischer Lesart letztendlich nur die Umsetzungsschwäche der Kernverwaltung cachieren, wird bei den Varianten drei bis fünf über die Neugründung einer Digital-Agentur als „Arbeitsmuskel“ spekuliert. Kann man so machen. Aber belegt das bestehende Wimmelbild staatlicher Digital-Zuständigkeiten nicht heute schon, dass eine ausufernde Zuständigkeitsfragmentierung eher einer Verantwortungs- und Umsetzungsdiffusion gleichkommt und das ganze System noch abstimmungsaufwendiger und damit langsamer macht? 

Besser wäre es, meines Erachtens, die vorhandenen „Leistungsmuskeln“ wie das ITZBund, das BVA und vergleichbare DLZ-IT weiter zu konsolidieren, rechtlich und finanziell auskömmlich auszustatten und damit wirklich arbeitsfähig zu machen – sprich mehr echte Dienstleistungsausrichtung und Angebotsorientierung zu ermöglichen. 

Schlaglicht V: Wie positionieren sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen? 

  • CDU/CSU und FDP votieren für die Schaffung eines eigenständigen Digitalministeriums mit Bündelung der „Digitalressourcen“ im nachgeordneten Bereich.  
  • Die SPD geht nicht mit der Forderung nach einem dedizierten Digitalministerium ins Rennen, sondern will die Zuständigkeiten der Verwaltungsdigitalisierung in einem bestehenden Ministerium bündeln. 
  • Bündnis 90/Die Grünen sprechen – eher wage – lediglich von einer Bündelung der Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und des Budgets für Digitalisierung. 
  • In den eh schon „dünnen“ Wahlprogrammen von AfD und BSW scheint man sich mit dieser Frage nicht ernsthaft beschäftigt zu haben.

Verwaltung digital zukunftsfest machen 

Prognosen, die die Zukunft betreffen, sind ja bekanntlich eine heikle Sache. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Varianten eins und zwei nicht ernsthaft in Frage kommen können, wenn man denn ins digitale Gelingen verliebt sein sollte. Welche es von den Varianten drei bis fünf – oder doch noch andere – auch immer wird, für die Umsetzungsstärke müsste ein Digitalministerium unter anderem mit einem eigenen, signifikanten Budget, dem Recht zu einem echten Digital-Vorhaben-Check und einem leistungsfähigen Unterbau zur operativen Umsetzung (auch Betrieb) ausgestattet sein. Teile davon finden sich in den Wahlprogrammen der Parteien wieder. Das ist schonmal ein gutes Zeichen. 

Der bereits oben erwähnte Blueprint Dänemark ist den Weg eines zentralen Digitalministeriums bereits gegangen. Das dortige „Digitaliseringsstyrelsen“ treibt – bei aller gebotenen Vorsicht der direkten Vergleichbarkeit – erfolgreich eine umfassende nationale Digitalstrategie voran und scheut dabei auch nicht vor „radikalerem“ Paradigmenwechsel zurück. Während in Deutschland eine digitale Umsetzung von staatlichen Leistungen vorher im Gesetzgebungsprozess festgeschrieben werden muss, hat Dänemark den Ansatz digital by default flächendeckend als Standard festgeschrieben. Bei unseren nordischen Nachbarn brauchen der Staat und die Verwaltung also eine Gesetzesgrundlage, warum bestimmte Vorhaben von der Digitalisierung ausgenommen werden sollen. 

Egal, welche Farbenlehre am 23. Februar ins Bundeskanzleramt gewählt wird, die neue Legislaturperiode ist die wahrscheinlich letzte Chance, dass digitale Ruder herumzureißen und den Standort Deutschland und die Leistungsfähigkeit des Staates und seiner Verwaltung digital zukunftsfest und wettbewerbsfähiger aufzustellen 

Wie schrieb der deutsche Philosoph Ernst Bloch bereits 1959 in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ so treffend: „Es kommt aber darauf an, das Hoffen zu lernen. Denn Hoffnung ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“ Oder anders ausgedrückt: Das Bemühen der zarten Pflanze Zuversicht mag in Zeiten der vielen schlechten Nachrichten wie das Pfeifen im dunklen Walde vorkommen. Aber es gibt keine Alternative – auch und gerade nicht bei der Digitalisierung.