Onlinezugangsgesetz (OZG) 2.0

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Das sollten Sie wissen

Onlinezugangsgesetz (OZG) 2.0

Die Umsetzung des OZG ist ein gesellschaftspolitisches Projekt. Auf Grundlage einer offenen Analyse der bisherigen Umsetzungshindernisse geben wir Empfehlungen für ein OZG 2.0. Lesen Sie, wie eine Gesetzesumsetzung strategisch angegangen, mit einem Ökosystem gestützt und mit wichtigen Umsetzungsimpulsen unterfüttert werden muss, um einen Beitrag zur gesellschaftsorientierten digitalen Transformation der Verwaltung zu liefern.

Der weite(re) Weg zur gesellschaftsorientierten Verwaltung

Das OZG sieht zwei zentrale Ziele vor, die zum Jahresbeginn 2023 erreicht sein sollen: Bürger:innen und Unternehmen sollen jeden Antrag auf staatliche Leistungen auch online stellen können. Es soll ein Verbund der Verwaltungsportale von Bund und Ländern geschaffen sein.

Mitte 2022 ist klar, dass beide Ziele verfehlt werden: Das Ziel eines Portalverbunds wurde aufgegeben und nur ein geringer Teil der Leistungen von Bund, Ländern und Kommunen wird Anfang 2023 online beantragbar sein. Fast tragisch ist es, dass selbst die vom IT-Planungsrat erst Anfang Mai 2022 beschlossenen OZG-Booster-Leistungen („Priorisierte Einer-für-Alle-Leistungen im föderalen Programm“) nicht fristgerecht umgesetzt werden.

Selbst wenn der Umsetzungsstand nicht zufriedenstellend ist, gibt es in der Bilanz des OZG auch Erfolge: Das Gesetz hat die Verwaltungsdigitalisierung angekurbelt und dynamischer gemacht. Außerdem hat es die Debatte intensiviert, was die deutsche Verwaltung eigentlich digital leisten soll.

Das OZG stellt eine zentrale Wegmarke der Verwaltungsmodernisierung dar: Das Gesetz formuliert wie bislang kein anderes den Anspruch von Bürger:innen und Unternehmen auf eine „gesellschaftsorientierte Verwaltung“. Eine gesellschaftsorientierte Verwaltung bedeutet, dass sich Verwaltungsarbeit im Sinne des Gemeinwesens auf die Bürger:innen, Unternehmen und gesellschaftlichen Institutionen ausrichtet. Die OZG-Leistungen etwa sollen sich ab Beantragung an der Perspektive der Nutzenden orientieren und nicht an behördlichen Zuständigkeiten. Dieses Paradigma muss für die zukünftige Verwaltungsmodernisierung zentral bleiben und praktisch vorangetrieben werden.

Blick auf das Wesentliche konzentrieren

Gleichwohl drohen die aktuellen OZG-Diskussionen genau dieses größere Ganze aus den Augen zu verlieren: „Stückwerk“ dominiert bei den strategischen Planungen und den diskutierten Umsetzungsmaßnahmen. Natürlich sind die Finanzierung, zumeist in enger Verbindung zu Nachnutzungsmodellen, Verfahrensschwächen bei der Mittelauskehr sowie vergaberechtliche Aspekte relevant. Im politischen Alltagsgeschäft aber geraten selbst dieses Notwendige zum Streitpunkt und die strategischen Modernisierungszwecke aus dem Blick. Zudem werden die Debatten um das OZG 2.0 nicht auf Grundlage einer „ehrlichen Bilanz“ geführt, bilanzierte Fedor Ruhose, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz, sehr treffend in einem Beitrag des Berliner Tagesspiegel aus dem Juni 2022. Ohne eine ehrliche Bilanz werde man die „Sonntagsreden“ nicht „mit Leben füllen“, ergänzt er – und ihm ist nur beizupflichten.

Um den weiteren Weg zur gesellschaftsorientierten Verwaltung mit strategischem Weitblick anzugehen, stellen wir einige Erkenntnisse und Empfehlungen entlang der Aspekte Strategie, Ökosystem und Umsetzungsmaßnahmen vor. Daher verstehen wir „OZG 2.0“ nicht allein als Gesetz, sondern immer auch als ein Programm für den Verwaltungsvollzug.

Die Abbildung zeigt die wichtigsten Aspekte rund um Strategie, Ökosystem und Umsetzungsmaßnahmen, die Infora  mit Erkenntnissen und Empfehlungen angereichert hat. Die Abbildung zeigt die wichtigsten Aspekte rund um Strategie, Ökosystem und Umsetzungsmaßnahmen, die Infora  mit Erkenntnissen und Empfehlungen angereichert hat. Die Abbildung zeigt die wichtigsten Aspekte rund um Strategie, Ökosystem und Umsetzungsmaßnahmen, die Infora mit Erkenntnissen und Empfehlungen angereichert hat.

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Erstens: Umsichtige Gesamtstrategie statt vereinzelter Vorstöße

Während das OZG als großer Wurf gefeiert wurde, fehlt in den aktuellen Diskussionen um das OZG 2.0 die Auseinandersetzung um den programmatischen Fortschritt und den tieferen gesellschaftlichen Zweck.

Das OZG ist Kern der gesellschaftsorientierten Verwaltungsdigitalisierung. Aber auch andere Initiativen wie etwa die Registermodernisierung und die Multi-Cloud-Strategie zahlen hierauf ein. Diese drei Initiativen müssen enger miteinander verschränkt werden, um die Interoperabilität von OZG-Diensten (Fokus Frontend) und Registern (eine wichtige Komponente im Backend) auf einer dazu geeigneten Architektur (evtl. Cloud) angemessen in den Blick zu bekommen.


Gesellschaftsorientierte Verwaltungsdigitalisierung Gesellschaftsorientierte Verwaltungsdigitalisierung Wichtig sind die strategische Verzahnung von OZG, Cloud und Registermodernisierung.


Mit der Cloud-Initiative verbunden sind die Fragen, wo und wie Online-Dienste betrieben werden, wie die Daten- und Informationssicherheit gewährleistet wird und wie souverän oder abhängig die deutsche Verwaltung zukünftig sein wird. Diese Fragen werden in der Diskussion um das OZG 2.0 zu wenig mitgedacht. Hier besteht die Gefahr, dass ohnehin nicht fristgerecht verfügbare Online-Dienste später noch einmal von Grund auf neu aufgesetzt werden müssen. Dass die bundesweite Genossenschaft Govdigital und damit das öffentlich-rechtliche Konsortium in der Multi-Cloud-Strategie den Auftrag vom IT-Planungsrat für den OZG-Marktplatz bekommen hat, darf übrigens nicht mit einer Architekturstrategie für Online-Dienste verwechselt werden: Beim OZG-Marktplatz handelt es sich um eine Art Verbreitungsplattform, die transparent macht, welche OZG-Leistungen zu welchen Konditionen nachnutzbar sind. Es handelt sich nicht um eine nachhaltige und sichere Betriebsarchitektur für die OZG-Leistungen selbst.

OZG-Leistungen werden erheblich nutzerfreundlicher, wenn Antragstellende bereits angegebene und damit in der Verwaltung prinzipiell verfügbare Informationen nicht erneut eingeben müssen. Dies fordert das Once-Only-Prinzip aus dem OZG-Reifegrad 4. Dafür notwendig ist eine Nutzbarmachung entsprechender Daten aus Registern im Antragsprozess und damit im Frontend. Die Registermodernisierung wird aktuell aber viel zu stark aus Sicht des Backends gedacht inkl. der technischen Schnittstellen. Beide Programme müssen enger programmatisch und operativ aufeinander abgestimmt werden.

Noch aus einem zweiten Grund ist eine enge programmatische Abstimmung zwischen OZG 2.0 und Registermodernisierung essenziell: Die Programmstruktur der Registermodernisierung rund um das Bundesverwaltungsamt weicht deutlich von derjenigen im OZG ab. Um aus Problemen bei der OZG-Umsetzung systematisch zu lernen, ist ein Austausch zwischen beiden Programmen zu etablieren.

OZG-interne Strategieansätze vorantreiben
Auch OZG-immanent gibt es einige strategische Baustellen zu bewältigen – und zwar von Bund und Ländern. Zum einen gilt es, die Nutzung des Föderalen Informationsmanagements (FIM) endlich effektiv aufzusetzen. Derzeit wird FIM zur Leistungskatalogisierung und -dokumentation genutzt. Die Arbeiten sind noch lückenhaft und weisen erhebliche Qualitätsunterschiede auf, sodass auch über die fachliche Umsetzung des Standards noch einmal gesprochen werden muss. Breiten Nutzen entfaltet die FIM-Systematik aber erst, wenn die Repositories auch zu Steuerungszwecken dienen: Sind die Leistungs-, Prozess- und Datenfeldinformationen hier gepflegt, sollten daraus bei Änderungsbedarfen entsprechende Impulse möglichst automatisiert in die Formulare und bis in die Backend-Prozesse erfolgen. Das wäre über alle föderalen Ebenen hinweg und auch zwischen verschiedenen Ländern bzw. Kommunen möglich. Wird dieser Entwicklungsschritt nicht bald entschieden und gegangen, droht FIM nicht nur zu zerfasern, sondern zu versanden. Denn es steht den hohen Systematisierungs- und Dokumentationsaufwänden viel zu wenig praktischer Mehrwert gegenüber.

Im OZG-„Digitalisierungsprogramm Föderal“, also bei den Leistungen der Typen 2 bis 5, wird es für die Länder wichtig, effektive Strategien für die Konzeption, Bereitstellung und Transparenz der Online-Dienste für ihre Bürger:innen und Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das umfasst Leistungen, bei denen man selbst in der Themenfeldführerschaft ist, ebenso wie diejenigen, die man von anderen nachnutzt. Dieser strategische Bedarf ist umso dringlicher bei den Leistungen, die die Kommunen umsetzen. Insbesondere auf kommunaler Ebene muss gemeinsam mehr Transparenz über Anforderungen, Umsetzungsstände und Umsetzungsmöglichkeiten des OZG geschaffen werden. Als „Keimzellen der Demokratie“ sind kommunale Leistungen ein zentraler Baustein für die gesellschaftsorientierte Verwaltung. Ob die in den „Dresdner Forderungen“ angeregte Neuverteilung von Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen dafür einen relevanten Beitrag leisten kann, muss die Politik beurteilen. Die Diskussionen hierüber sollten aber den laufenden Umsetzungsprozess nicht ausbremsen.

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Zweitens: Ein Ökosystem für die Verwaltungsdigitalisierung


Wenn über den ernüchternden Umsetzungstand des OZG diskutiert wird, kommen die Gespräche schnell auf die Hindernisse des Föderalismus. Für die OZG-Umsetzung sind tatsächlich viele Akteure relevant, die auf mehreren föderalen Ebenen und auch auf EU-Ebene angesiedelt sind. Das ist nicht OZG-spezifisch. Auch andere Gesetze werden in diesem Mehrebenensystem erfolgreich umgesetzt. Dass es beim OZG nicht gelingt, die Vollzugsherausforderungen des Föderalismus zu bewältigen, liegt an einer zu selten bestehenden Bereitschaft, eigene Interessen zurückzustellen zugunsten des übergeordneten Ziels der gesellschaftsorientierten Verwaltung für alle Bürger:innen und Unternehmen.

Die Meinungs- und Interessenvielfalt im föderalen System zeigt sich auch im IT-Planungsrat. Ein halbwegs einheitlicher, klar artikulierter und gemeinsam gelebter politischer Wille ist essenziell für die Strategiefähigkeit des Gremiums. Die Diskussion und Entscheidung zu den OZG-Booster-Leistungen haben das erneut verdeutlicht.

Richtet man den Blick auf die handhabbaren und veränderbaren Hindernisse, empfehlen wir, konsequent im Sinne eines Ökosystems zu planen und zu agieren. Neben den föderalen Akteuren müssen hierin auch halbstaatliche Akteure wie Krankenkassen und Kammern sowie nicht-staatliche Akteure wie etwa Fachverfahrensanbieter systematischer eingebunden werden. Die Sicht zu erweitern hin zum Ökosystem eröffnet zudem den Blick für wichtige Steuerungs- und Abstimmungsprobleme, die eben nicht nur zwischen den föderalen Ebenen bestehen, sondern auch innerhalb dieser: Im Bund und innerhalb der Länder muss erheblich mehr Koordination geleistet werden zwischen den OZG-Umsetzungsverantwortlichen, den Fachressorts, den öffentlichen IT-Dienstleistern und den weiteren Beteiligten.

Die Umsetzung des OZG wird auch dann erfolgreicher, wenn eine breitere Kombination von Koordinationsmechanismen genutzt wird: Peer-Learning, Wissenstransfer, Beratung, Qualitätssicherung, agile Entwicklungs- und Experimentiermethoden, finanzielle Anreize sowie eine Standardisierung, die Wettbewerb erst ermöglicht. Diese Optionen sind bislang zu wenig umgesetzt und würden Wirkung zeigen.

Rollen und organisatorische Gestaltung im Ökosystem
Eine bedeutende Rolle im Rahmen des zu schaffenden Ökosystems spielt die FITKO. Um erfolgreich zu sein, muss sie aber ihr Rollenmodell justieren. Der IT-Planungsrat plant strategisch, die FITKO plant und koordiniert operativ weiter. Die FITKO sollte in Richtung einer Koordinierungsagentur weiterentwickelt werden, die entlang ihrer operativen Planungen andere Akteure vernetzt, lenkt, anleitet und ertüchtigt. Sie muss sich anderseits von operativen Umsetzungen so weit wie möglich entlasten, denn diese wird sie aus Ressourcengründen nicht hinreichend leisten können. Hier kommen die IT-Dienstleister im besagten Ökosystem ins Spiel. Hilfreich wäre es, wenn auch die Länder entsprechende Koordinierungsfunktionen eng abgestimmt etablieren würden.

Im OZG wurden neue Rollen wie Themenfeldverantwortliche und Umsetzungskoordinatoren definiert. Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Für das OZG 2.0 und die Registermodernisierung muss die Verwaltung ihren organisatorischen Unterbau noch deutlich ausbauen: Mehr Personal muss bereitstehen, Digitalisierungskompetenzen müssen systematisch entwickelt werden. Die Verwaltung muss eine andere Koordinierungs- und Veränderungskultur etablieren. Wir empfehlen, Koordinations- und Organisationstandards für das Ökosystem in den „Servicestandard für die OZG-Umsetzung“ mit aufzunehmen. Dieser Standard fokussiert bislang fast nur die Ergebnisdimension und schreit förmlich nach Ergänzungen zur Prozess- und Strukturqualität.

Mit einem so organisierten Ökosystem bestehen dann gute Aussichten, die Verwaltung nachhaltig zu entwickeln und den Umsetzungsstand des Gesetzes erheblich zu verbessern.

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Drittens: Umsetzungsmaßnahmen für weitere Impulse

Die laufenden Maßnahmen der OZG-Umsetzung müssen konsequent fortgesetzt werden. Es gilt aber auch, neue Impulse zu setzen: Die Verwaltungsabläufe müssen in ihrer Gesamtheit, also Ende-zu-Ende, digitalisiert werden. Das betrifft neben den Registern viele weitere Komponenten (Formulare, eAkte, Fachanwendungen etc.) und wird in der Verwaltungspraxis der nächsten Jahre eine große Herausforderung sein.

Die Verwaltung wird nämlich verschiedene Formen des Prozessmanagements nebeneinander sehen (Code, Low Code, manuelles Arbeiten), die technologisch höchst unterschiedlich unterlegt sein werden. Komplexes Prozessmanagement wird ein Kernthema für die digitale Verwaltung. Darin müssen Automatisierungskomponenten fest integriert werden. Automatisierte Steuerungsimpulse durch FIM sind hierfür schon genannt worden; aber auch Online-Formulare müssen automatisierter aufgesetzt und angepasst werden.

Der Betrieb von Leistungen muss in den Umsetzungsfokus rücken: Hier sind Standards für EfA-fähige, nachhaltige Betriebskonzepte zu etablieren inkl. aller OZG-Spezifika wie der FIM-Pflege, der digitalen Inklusion und der weiteren Nutzerzentrierung etc. Datenschutz und Informationssicherheit müssen über die gesamte Leistungskette garantiert werden. Für die benötigte Infrastruktur sollten vor allem die Länder skalierungsfähige Systeme aufbauen, die sich aus einem Baukasten von konsolidierten Komponenten auf einer leicht zugänglichen Plattform für die Erstellung von Online-Diensten zusammensetzen. Hier ist der Bund schon weiter.

Fazit: Dafür wird sich der Aufwand lohnen

Bürger:innen und Unternehmen haben einen Anspruch auf eine gesellschaftsorientierte Verwaltung. OZG 2.0, Registermodernisierung und die Cloud-Initiative entscheiden mit darüber, inwieweit dieser Anspruch Wirklichkeit wird. Die Umsetzung dieser Initiativen wird zu einem Gradmesser, wie leistungs- und veränderungsfähig die deutsche Verwaltung ist.

Für die Beschäftigten in der Verwaltung geht es dabei sogar um etwas sehr Persönliches: nämlich moderne und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Dies ist ein zentraler Zukunftsfaktor für die Verwaltung als Arbeitgeber mit Blick auf den demographischen Wandel. Es lohnt sich also, für den Umsetzungserfolg des OZG 2.0 und alle weiteren Initiativen zu kämpfen, die auf eine gesellschaftsorientierte Verwaltung abzielen.

Positiv ist, dass Bund und Länder mehr Handlungsspielräume und -optionen haben, als in der politischen Debatte anklingen. Um sie zu nutzen, sind sie nicht einmal an ein Gesetz zum OZG 2.0 gebunden. Alles hier Dargestellte kann die Verwaltung auch bei jetziger Rechtslage umsetzen.