Das digitale Kaufhaus der Verwaltungsdienstleistungen
Im August 2021 wird das Onlinezugangsgesetz (OZG) vier Jahre alt. Dies ist ein guter Zeitpunkt für ein Zwischenfazit. Antworten auf wichtige Fragen zum Stand der Umsetzung des OZG in Niedersachsen gibt Dr. Horst Baier, IT-Bevollmächtigter der Landesregierung (CIO) im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport.
Wie das Land Niedersachsen und die Kommunen das OZG umsetzen
Welchen Inhalt und welchen Umfang hat das OZG?
Das OZG ist ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einer bürgerfreundlichen, digitalen Verwaltung. Das Gesetz zielt darauf ab, allen Bürger*innen einen digitalen Zugriff auf die Verwaltungsleistungen der öffentlichen Hand zu ermöglichen. Die Kommunen, die Länder und der Bund sind durch das OZG verpflichtet, ihre jeweiligen Verwaltungsportale in einem „Bundesportal“ zu verknüpfen. Dafür sind persönliche Nutzerkonten vorgesehen, über die sich die Bürger*innen identifizieren und ihre Anliegen zentral verwalten können. Darüber hinaus regelt das OZG, dass die digitalen Verwaltungsleistungen, von denen ein Großteil den Kommunen obliegt, bis Ende 2022 vollständig ausgebaut werden sollen. Insgesamt müssen 575 Verwaltungsleistungen – bestehend aus mehr als 6.000 Einzelprozessen – nutzerfreundlich und ohne Medienbrüche digitalisiert werden. Das OZG sieht ausdrücklich die „Nachnutzbarkeit“ aller Entwicklungen vor; getreu der Maxime „Einer für Alle“ (EfA) werden sie auf einem Online-Marktplatz allen Ländern zur Verfügung gestellt. Die Länder müssen dann die Anbindung an die Kommunen organisieren.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem Land Niedersachsen und den Kommunen?
Angesichts des umfassenden Leistungsversprechens ist es unabdingbar, dass Länder und Kommunen eng zusammenarbeiten. Obwohl die Kommunen ein grundgesetzlich verbrieftes Recht haben, ihre Belange – auch in der Digitalisierung – in Eigenverantwortung zu regeln, sind sie faktisch Teil der zentralen, jeweils von den Ländern gesteuerten Umsetzung des OZG. Das Gesetz macht die Länder und die Kommunen samt ihrer lokalen IT-Dienstleister zu Umsetzungspartnern in einem überaus ambitionierten Vorhaben. Land und Kommunen müssen lernen, ihre kollaborativen Prozesse effizient auszurichten und aufeinander abzustimmen. Genauso wichtig ist es, die Kommunikation auf Augenhöhe zu organisieren und gemeinsame Ziele zu formulieren.
Worin liegt die besondere Chance dieser Zusammenarbeit?
Auf kommunaler Ebene wurde die Digitalisierung in den vergangenen Jahrzehnten pragmatisch vorangetrieben. Zur Unterstützung von fachlichen Aufgaben, wie z. B. Wohngeld, Elterngeld und Bauanträge, wurden Software-Verfahren eingeführt, die zu einer Digitalisierung von Arbeitsprozessen innerhalb der Verwaltung geführt haben. In einem nächsten Schritt wurden im Sinne eines besseren Bürgerservice in vielen Behörden Formulare ins Internet gestellt und digitale Angebote auf Portalen entwickelt. Die Landesverwaltung hat ebenfalls intensiv in die Digitalisierung ihrer Aufgaben investiert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen gab es aber schwerpunktmäßig bisher nur im Bereich von Datennetzen.
Das OZG erfordert nun eine viel stärkere Vernetzung auf fachlicher Ebene und die Schaffung einer gemeinsamen IT-Infrastruktur, die darüber hinaus noch mit anderen Bundesländern kompatibel sein muss. Durch die Nutzung von möglichst einheitlichen Onlinediensten und Zugangswegen zu öffentlichen Dienstleistungen ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit und der Arbeitsteilung zwischen Land und Kommunen. Das Land stellt für das OZG zentrale Infrastrukturkomponenten zur Verfügung, wie z. B. ein Servicekonto, ein Payment-System oder ein Antragsverwaltungsverfahren. Darüber hinaus werden zentral durch das Land Verwaltungsleistungen als Onlinedienste zur Verfügung gestellt. Der Erfolg des OZG hängt von der Akzeptanz der Bürger*innen in Bezug auf die neuen Angebote ab. Die Kommunen sind die Experten für die örtlichen Belange und haben den direkten Kontakt zu den Menschen.
Welche Maßnahmen stellen sicher, dass die Belange der Kommunen angemessen berücksichtigt werden?
Bereits seit 2018 sind die kommunalen Spitzenverbände in die Planung und Entwicklung der Landesprojekte zur Umsetzung des OZG einbezogen. Die kommunalen IT-Dienstleister sind über ihr Gemeinschaftsunternehmen GovConnect vertreten. Wir haben uns im Juli 2020 an GovConnect beteiligt, um die enge Zusammenarbeit mit den Kommunen und den IT-Dienstleistern zu vertiefen. Zusätzlich wurde im Rahmen des Programms Digitale Verwaltung Niedersachsen (DVN) ein „Kommunales Kompetenzteam“ eingerichtet, um die Interessen und Bedarfe der Kommunen in der operativen Arbeit frühzeitig zu berücksichtigen. Über ein spezielles Projekt sollen auch Modellprozesse von Kommunen digitalisiert und der Austausch von Lösungen zwischen Kommunen gefördert werden. Die Kommunikation mit den Kommunen erfolgt in einer strukturierten Form über diverse Angebote wie z. B. Newsletter, Veranstaltungen und zentrale Informations- und Austauschplattformen. Zur Synchronisierung der verschiedenen Strukturen wurde ein Architektur-Board mit kommunaler Beteiligung eingerichtet.
Worin liegt die Bedeutung des Prinzips „Einer für Alle“?
Das OZG verlangt hohe Investments. Der Bund fördert die Realisierung mit insgesamt drei Milliarden Euro aus dem Corona-Konjunkturpaket. Mehr als zwei Drittel der Förderung stehen für die Länder zur Verfügung. Eine direkte Unterstützung von Kommunen ist nach der Finanzverfassung des Bundes leider nicht möglich. Die Gelder fließen allerdings nur, wenn sie für die definierten Themenfelder eingesetzt werden und das EfA-Prinzip eingehalten wird. EfA bedeutet konkret: Wenn ein Land oder eine Länderallianz eine spezifische Verwaltungsleistung digitalisiert hat, können und sollten sich alle anderen Bundesländer diesem Online-Dienst anschließen. EfA bringt damit Effizienz und Tempo in die bundesweite Umsetzung des OZG.
Was hätte besser laufen können?
Zu Beginn der Umsetzung des OZG waren viele Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen noch nicht erkennbar. Das Land Niedersachsen hat 2018 mit DVN einen anerkannt umfassenden Ansatz zur ganzheitlichen Digitalisierung aufgesetzt und sich vorrangig auf die Bereitstellung von Basisdiensten und Gesundheitsleistungen konzentriert. Im Jahr 2020 sind mit dem EfA-Prinzip, dem FIT-Store-Ansatz, neuen Schnittstellenstandards und dem Konjunkturpaket mit einer Nachnutzungsverpflichtung neue Rahmenbedingungen gesetzt worden, die eine Neuausrichtung von DVN erforderlich gemacht haben.
In der Vergangenheit wurde insbesondere die Notwendigkeit zur intensiven Einbindung der kommunalen Seite unterschätzt. Aufgrund vieler Unklarheiten gab und gibt es noch Unzufriedenheiten in Bezug auf die Kommunikation. Hier wird das Land in Zukunft erheblich mehr Angebote machen und den Dialog intensivieren. Durch neue Formen des Projektmanagements nach dem Scaled Agile Framework konnten die Abläufe im Programm DVN, die Entscheidungsgeschwindigkeit und die Kommunikation schon spürbar verbessert werden.
Wird sich der Erfolg der Zusammenarbeit messen lassen?
Mein Maßstab ist: Wenn viele Bürger*innen wie selbstverständlich ihre Anliegen online abwickeln, wenn sie in wenigen Minuten ihre Anliegen adressieren können und ein Gefühl der Zufriedenheit empfinden, dann haben Land und Kommunen eine gute Arbeit abgeliefert. Die Anwendungen müssen auch auf einem Smartphone gut funktionieren. Zu den quantitativen Zielen gehört die Anzahl gemeinsam realisierter Online-Services ebenso wie die Einhaltung vorgegebener Budgets und die Termintreue. Besonderen Wert legen wir auch auf gut strukturierte, verständliche und barrierefreie Onlinedienste. Damit das auf allen Ebenen gelingt, plant das Land Befragungen von Bürger*innen zur Qualität und Akzeptanz der Onlinedienste. Das Ziel sollte eine Nutzung der Onlinedienste von über 90 Prozent der Bürger*innen sein.
Stellt das Land den Kommunen Onlinedienste zur Verfügung?
Das Land verfügt über eine Software zur Entwicklung von Onlinediensten und wird auch diverse Onlinedienste den Kommunen zur Verfügung stellen. Darüber hinaus müssen sich alle Kommunen an das Servicekonto anschließen. Bei Bedarf stehen weitere Basisdienste wie eine eRechnung, ein Antragsverwaltungsverfahren, ein ePayment oder auch die eAkte zur Verfügung. Viele Kommunen arbeiten mit kommunalen und privaten IT-Dienstleistern zusammen, die bei der Umsetzung des OZG unterstützen. Grundsätzlich gilt: Vor Ort bewährte Online-Lösungen sollen weiterhin eingesetzt und in die Gesamtarchitektur integriert werden.
Über welchen Zugang werden die Bürger*innen die Onlinedienste nutzen? Über die Webseite des Landes oder über das kommunale Portal?
Die im Land eingesetzten Portale sollen miteinander vernetzt werden. Letztlich wird es dann egal sein, wo die Bürger*innen den Einstieg wählen. Über unseren Zuständigkeitsfinder, der von den Kommunen gepflegt wird, finden sie immer den passenden Onlinedienst und die zuständige Behörde. Entscheidend ist, jede Komplexität aus der Anmeldung und aus der Nutzung zu nehmen. Bürger*innen sollten nicht darüber nachdenken müssen, wie sie eine Onlinedienstleistung in Anspruch nehmen können. Das bewährte Lebenslagen- bzw. Unternehmenslagenmodell bleibt der Leitgedanke: Je nach Situation und Anlass öffnet sich ein spezifischer Prozess, ein digitaler Pfad, auf dem die Bürger*innen und Unternehmen komfortabel und verlässlich ihre Angelegenheiten regeln können. Das Ergebnis einer Verwaltungsdienstleistung wie z. B. eine Genehmigung oder ein Bescheid landet dann in dem Postfach der Bürger*innen. Die Technologie regelt alles weitere – von der Authentifizierung gegenüber den Bürgerdiensten über die rechtskonforme Weiterleitung von Daten bis hin zu den digitalen Bezahlmöglichkeiten. Kurzum: wir schaffen ein „Digitales Kaufhaus der Verwaltungsdienste“.
Hat die Einbindung der kommunalen Bedürfnisse in Niedersachsen für Sie eine hohe Bedeutung?
Wir investieren viel Zeit und Energie in die Kommunikation und arbeiten auf der Basis gemeinsamer Ziele. Ohne Kommunen kann das OZG nicht umgesetzt werden. Wir müssen unsere Anstrengungen noch verstärken, alle Kommunen zu einer konsequenten Umsetzung des OZG zu motivieren und zu unterstützen. Die Umsetzung des OZG darf nicht in einen Flickenteppich münden und auch nicht von der Finanzkraft der einzelnen Kommune abhängen.
Wir werden auf Basis einer Befragung und von Veranstaltungen versuchen, den Bedarf an Unterstützung und die Probleme der Umsetzung vor Ort besser zu verstehen und daran unsere Aktivitäten ausrichten. Schritt für Schritt wollen wir nachhaltige kollaborative Strukturen aufbauen, in denen die Landes- und kommunalen Interessen gleichermaßen berücksichtigt werden. Und wir haben eine weitreichende Vision: Wir möchten, dass sich die digitalisierten OZG-Angebote der kommunalen Behörden durch eine überzeugende User Experience auszeichnen. Mit einer einfachen Benutzerführung, einer nachvollziehbaren Ansprache und mit digitalen Assistenten sollen die Onlinedienste den populären Plattformen in der freien Wirtschaft in nichts nachstehen.
Durch das Registermodernisierungsgesetz und die einheitliche Bürger-ID lassen sich in Zukunft viele Datenzugriffe automatisieren. Das macht das Ausfüllen von Onlineanträgen noch einfacher. Wenn wir es dann noch schaffen, unsere Gesetze einfacher zu gestalten, haben wir schon viel erreicht im Sinne einer modernen Verwaltung.
Zur Person:
Dr. Horst Baier ist seit dem 20. März 2020 IT-Bevollmächtigter der Landesregierung (CIO) im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport und leitet dort den Bereich „Informationstechnik der Landesverwaltung“. Zuvor war er von 2012 bis Februar 2020 Bürgermeister der Samtgemeinde Bersenbrück.