Künstliche Intelligenz (KI) im Public Sector
Dokumente aller Art bestimmen den Alltag behördlichen Handelns. KI kann sie in vielen Fällen schneller erfassen, sortieren, auswerten und verarbeiten als Menschen. So hilft sie, Entscheidungen zu beschleunigen und die Arbeit in der Verwaltung attraktiver zu machen.
Intelligentere Dokumentenverarbeitung mit KI
Impulse für die digitale Verwaltung
„Es ist höchste Zeit, die Digitalisierung entscheidend voranzubringen. Das hat auch die Corona-Pandemie deutlich gezeigt”, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer Anfang Juni anlässlich der Einrichtung der Abteilung „Digitale Verwaltung“ im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Zu den Technologien, die der Digitalisierung der Verwaltung einen kräftigen Schub verleihen könnten, gehört KI. Das Land Nordrhein-Westfalen hat das erkannt und mit KI.NRW eine zentrale Vernetzungsinitiative gestartet. Auf Bundesebene umfasst die „KI-Strategie Deutschland“ zwölf Handlungsfelder mit mehr als 100 laufenden Förderprogrammen, Initiativen und Kooperationen. Rund 50 weitere Vorhaben sind in Planung. Und die aktuelle Studie „Künstliche Intelligenz in der Öffentlichen Verwaltung“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Zusammenarbeit mit der Zeppelin Universität Friedrichshafen zeigt eine breite Palette von aktuellen und zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten auf. Jetzt lautet die wichtigste Frage für die Verantwortlichen in der öffentlichen Verwaltung: „Wo anfangen?“
Domänenwissen und Technologie zusammenbringen
Dr. Alexander Fronk, Themenmanager Business Development im Geschäftsbereich Public Sector bei Materna, berichtet von seinen Erfahrungen in der Praxis: „Um aus der Vielzahl der Möglichkeiten konkrete Lösungen zu entwickeln, müssen das Fach- oder Domänenwissen der Behörden und das technologische Know-how im Umgang mit KI zusammenkommen. Das ist unsere Mission bei Materna. Mit unserem dokumentenzentrierten Ansatz helfen wir Behörden, KI-Verfahren wie maschinelles Lernen einzusetzen, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen.“ Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Arbeit mit Dokumenten in nahezu jedem behördlichen Prozess zu den größten Zeitfressern gehört. Und dass Dokumente in der modernen Verwaltung neben Texten auch Bilder, Videos und Audiodateien sein können.
Soforthilfe-Anträge schneller prüfen
Dass Digitalisierung mehr meint als den Wechsel von papiergebundenen zu elektronischen Prozessen, zeigten beispielhaft die Soforthilfeprogramme der Länder für Unternehmen während der Corona-Krise. Dabei konnten Antragsteller alle erforderlichen Angaben in Online-Formulare eintragen und das elektronische Formular per Mausklick an die jeweilige Behörde übermitteln. Einfach und schnell für die Betroffenen. Doch für die Behörden stellte die Antragsflut eine erhebliche Herausforderung dar, weil Cyberkriminelle die Situation ausnutzten, um Online-Datenverkehr auf gefälschte Websites umzuleiten. Sie stahlen so private Daten, die sie für eigene Zwecke missbrauchten. Die Folge: Viele dieser betrügerischen Anträge wurden zunächst nicht als solche erkannt. „Hier hätte eine KI bereits unmittelbar nach der Antragstellung erkennen können, dass etwas nicht stimmt, bevor die eigentliche Sachbearbeitung beginnt – einfach durch den automatischen Vergleich jedes neu eingehenden Antrags mit den bereits vorhandenen Antragsdaten“, erklärt Dr. Thomas Liebig, Leiter Data Analytics & Artificial Intelligence bei Materna. Allerdings handele es sich bei vielen der Angaben um schützenswerte Daten.
„Deshalb ist es nicht damit getan, ein KI-Tool zu installieren und einen Datenbestand analysieren zu lassen.“
Vielmehr komme es darauf an, zunächst die Zielsetzung klar zu formulieren und festzulegen, aus welchen Daten die dafür erforderlichen Informationen zu gewinnen sind. Erst auf dieser Basis könnten Experten beurteilen, welche Technologien und Tools zur Erreichung der klar definierten Ergebnisse benötigt werden.
Wie KI Online-Strafanzeigen wegen Hass-Postings erleichtert
Wie KI dokumentenbasierte Prozesse in der Justiz unterstützen kann, zeigt ein Proof of Concept, den Materna in Zusammenarbeit mit dem Deutschen EDV-Gerichtstag e.V. und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) entwickelt und umgesetzt hat. Gemeinsam mit den Technologien IBM Watson, AWS und Lucom hat Materna einen Chatbot realisiert, der insbesondere das Anzeigen der Sachverhalte Hass gegen Menschen, Hass gegen Religionsgemeinschaften, Aufrufe zu Straftaten sowie Nutzung verbotener Symbole online unterstützt. Auf dem EDV Gerichtstag 2019 konnten sich die Fachbesucher davon überzeugen, wie der Chatbot die Anzeige von hasskriminellen Beiträgen im sozialen Netzwerk Facebook erleichtert: In dem PoC können Bürger die Anzeige in einem Dialog mit dem Software-Agenten in natürlicher Sprache aufgeben und dabei Rückfragen stellen. Der Chatbot erkennt aus den Eingaben, welche weiteren Angaben noch abzufragen sind, und führt den Bürger durch den Vorgang. Dabei wird dem Anzeigenden das Speichern und Hochladen von Daten erspart: Nach Eingabe der Internet-Adresse des Postings lädt der Bot automatisch den Post sowie alle öffentlich verfügbaren Daten des Verfasserprofils und übermittelt die Daten an die zuständige Staatsanwaltschaft. Die Vorteile der Lösung beschreibt Dr. Alexander Fronk so:
„In der Vergangenheit war die Anzeigenerstattung bei Hasskriminalität im Internet nicht optimal umgesetzt. Das lag hauptsächlich daran, dass eine Strafanzeige online zu erstatten bislang zu kompliziert für die Bürger war und zu wenig konkrete Daten geliefert wurden, was dann hohen Nachbearbeitungsaufwand durch die Staatsanwaltschaft erforderlich machte. Ein solcher Chatbot unterstützt die Bürger bei ihrer Meldung und sorgt gleichzeitig dafür, die juristisch relevanten Daten in besserer Qualität zu erfassen.“
Schritt für Schritt zur Mensch-Maschine-Intelligenz
So naheliegend die Idee des Justiz-Chatbots auch scheinen mag – in der Praxis ist es oft ein weiter Weg von der Idee zur KI-Lösung. Denn die handelnden Personen sehen zwar in der Regel selbst, wo Abläufe zu verbessern wären, wissen aber nicht, ob sie sich für einen KI-Einsatz eignen. Den Anbietern von KI-Tools hingegen fehlt in der Regel das Fachwissen, um ihre Produkte so in die Behördenabläufe zu integrieren, dass sie einen echten Nutzen stiften. Materna hat deshalb einen KI-Check entwickelt, mit dem Entscheider schnell erkennen können, wo sie mit geringem Aufwand den größten Nutzen durch KI erzielen. Am Anfang steht dabei die Betrachtung einer Zielmatrix. Sie zeigt auf, aus welchen Datenkategorien mit Hilfe von KI welche Ergebnisse erreicht werden können. Dabei gibt das Modell drei Schritte vor: Analysieren, Prognostizieren und Empfehlen beziehungsweise Optimieren. „Mit diesen zentralen Schritten richten wir den KI-Einsatz am menschlichen Handeln aus: Um eine Empfehlung bewerten und geben zu können, brauchen Menschen eine Vorstellung von der Zukunft, also eine Prognose, die in der Regel auf einer Analyse historischer Daten beruht“, sagt Dr. Alexander Fronk. Anhand dieses Modells arbeiten Mensch und Maschine also gemeinsam an einer Problemstellung. Das Konzept der „Mensch-Maschine-Intelligenz“ hilft damit, das Erarbeiten einer Lösung zu strukturieren und die Zusammenarbeit zwischen menschlichen Sachbearbeitern und unterstützenden KI-Systemen effizient zu organisieren. „Denn am Ende ist es stets der Mensch, der Entscheidungen trifft und zu verantworten hat“, mahnt Dr. Fronk.
Echtzeitanalysen für Gefahrensituationen und Alltagsprobleme
"Mensch-Maschine-Intelligenz funktioniert hervorragend bei Echtzeit-Datenanalysen für Lagebewertungen durch die Polizei, Feuerwehr oder Katastrophenschutz“, berichtet Dr. Thomas Liebig aus seiner eigenen Erfahrung. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe beispielsweise kombiniert so heterogene Daten wie Wettervorhersagen, Postings aus Social Media-Kanälen, Pegelstände von Flüssen und andere, um Gefahrensituationen zu erkennen und schneller reagieren zu können.
Ein ganz alltägliches Problem mit erheblichem Gefahrenpotenzial adressiert das Forschungsprojekt „Intelligent Truck Parking“ (ITP), das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert wird. Das Projektkonsortium, in dem sich auch Materna engagiert, hat das Ziel, für mehr Sicherheit auf deutschen Straßen zu sorgen. Das Problem: Die ständige Zunahme des Schwerlastverkehrs und die Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten führen zu einer Konzentration von Lkw an Tankstellen, Rastplätzen und Parkplätzen. Fahrer, die pausieren müssen, aber keinen regulären Stellplatz finden, parken ihre Lkw immer wieder widerrechtlich und schaffen so zusätzliches Gefahrenpotenzial.
Um Fahrern und Unternehmen ein effizientes Management von Fahrtstrecken und Ruhepausen zu ermöglichen, arbeitet das Projektkonsortium an einer Datenplattform, die Auskunft über aktuell verfügbare Parkplätze gibt, eine vorausschauende Planung der Pausenzeiten ermöglicht und der zunehmenden Konzentration auf Schwerlastverkehr Rechnung trägt – mit Data Mining- und Machine Learning-Algorithmen. Noch in diesem Jahr soll das Projekt abgeschlossen werden.