Chatbot-Redaktionssysteme
Das Marktforschungsunternehmen Gartner erwartet, dass 2022 bereits 70 Prozent der Arbeitnehmer täglich mit digitalen Assistenten arbeiten werden. Was sich hinter diesem Trend verbirgt, wann ein digitaler Assistent sinnvoll ist und wie das Chatbot-Redaktionssystem dabei unterstützt, erläutern Ute Korinth und Josef Humbert, Chatbot-Experten bei Materna, im Interview.
Von der Planung bis zur Pflege eines Chatbot
Die Chatbot-Technologie ist nicht mehr neu. Wieso kommt es aktuell zu dieser großen Nachfrage?
Josef Humbert: Ich glaube, dass das Thema durch Corona und das damit verbundene Leben im Homeoffice besonders in den Fokus gerückt ist. Mitarbeiter*innen haben virtuelle Assistenten intensiv eingesetzt und getestet – auch Konsumenten, die damit bislang keine Erfahrungen gesammelt hatten.
Ute Korinth: Den Trend zu digitalen Assistenten gibt es schon länger und Corona hat das noch einmal beschleunigt. Es braucht eben seine Zeit, bis sich Technologien am Markt bewähren. Im Ursprungsmarkt USA hat sich das Thema bereits durchgesetzt. Dann gelangt das Thema nach Europa und braucht Zeit, um auch die dortigen Märkte zu durchdringen. Jetzt haben wir den neuralgischen Punkt erreicht, an dem die Notwendigkeit offenkundig wird.
Digitale Assistenten sind vielseitig einsetzbar. Welche Anwendungsfälle eignen sich besonders?
Ute Korinth: Das klassische Anwendungsgebiet ist die Customer Journey: von der Beratung eines Kunden über After Sales-Serviceleistungen bis zum Upselling. Das sind bei unseren Kunden die bislang wichtigsten Aspekte. Es gibt aber auch Einsatzbereiche, die nicht so weit verbreitet oder bekannt sind, z. B. bei internen Prozessen. Das ist das Schöne an der Arbeit mit digitalen Assistenten: Es braucht ein bisschen Fantasie, aber Chatbots automatisieren und optimieren in sehr vielen Bereichen die Prozesse.
Gibt es für die unterschiedlichen Anwendungsfälle einheitliche Vorgehensweisen?
Ute Korinth: Grundsätzlich müssen Dialoge und das Erscheinungsbild des Chatbots auf die Corporate Identity eines Unternehmens abgestimmt sein. Sollen interne Prozesse optimiert werden, hat die optische Darstellung weniger Gewicht als die Automatisierungsvorteile. Dann soll ein Chatbot vor allem schnell nutzbar sein.
Josef Humbert: Ein Bot muss immer trainiert werden, auch wenn er intern eingesetzt wird. Die Erfahrung zeigt: Menschen kommunizieren in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich. Speziell diesen Punkt besprechen wir mit Kunden besonders intensiv in der Konzeptionsphase. Dabei hilft eine Corporate Language Guideline: Sie legt die Art der Dialoge und Formulierungen für die verschiedenen Bots fest.
Wie viele Personen müssen einen Chatbot nutzen, damit er rentabel ist?
Ute Korinth: Chatbots sind wie kleine Kinder, die wachsen. Ein Chatbot ist bereits für kleinste Funktionen und Anwendungsfälle einsetzbar und lernt schrittweise dazu. Das ist meistens sogar leichter, als sehr viele Aufgaben zu definieren, die der Chatbot gleichzeitig lösen muss. Organisches Wachstum ist bei einem Chatbot das Gebot der Stunde.
Josef Humbert: Ein guter Benchmark sind 50 bis 100 Kontakte am Tag. Aber es geht ja nicht nur um Telefonkontakte. Auch schriftliche Anfragen kann der Bot übernehmen.
Wie lange dauert ein Projekt, bis ein Chatbot einsatzbereit ist?
Josef Humbert: Das ist maßgeblich von der Projektgröße abhängig. Kleinere Chatbots setzen wir bereits in drei bis sechs Wochen auf. Ein Beispiel dafür ist der Politik-Bot der SPD Remscheid. Dank unseres Redaktionssystems konnte hier die Implementierungszeit deutlich reduziert werden. Entscheidend ist es, das Volumen der Inhalte zu kennen. Wenn Kunden schon genau wissen, welche Inhalte der Bot umfassen soll, lässt sich ein Projekt in deutlich kürzerer Zeit umsetzen. Unser Chatbot-Redaktionssystem enthält bereits viele Grundelemente, die ein Projekt ebenfalls beschleunigen.
Ute Korinth: Bei vielen Bot-Projekten ist erst einmal die Findung entscheidend: Welches Wissen soll vermittelt werden und welches Wissen möchten Nutzer*innen über den Chatbot abfragen? Diese Evaluation ist der wichtigste Teil eines Projektes und nimmt meist schon einen Großteil der Projektzeit ein. Der Chatbot-Bau selbst ist nicht so zeitaufwendig. Unser Chatbot-Redaktionssystem automatisiert viele dieser Prozesse. Dazu zählen zum Beispiel auch die Analyse-Tools, die das Redaktionsteam zielgerichtet auf Problemstellen hinweisen.
Lässt sich ein digitaler Assistent auch ohne Redaktionssystem in vergleichbarer Zeit aufsetzen?
Ute Korinth: Chatbots können natürlich grundsätzlich auch ohne Redaktionssystem entstehen. Allerdings erfordern die gängigen Werkzeuge, wie z. B. IBM Watson, besondere IT-Fähigkeiten und Vorkenntnisse des Redaktionsteams. Diese Plattformen sind eher für Entwickler*innen als für Redakteur*innen entworfen. Darin müssen programmatische Regeln befolgt werden, die sehr komplex werden können und Redakteur*innen eine lange Vorbereitungszeit abverlangen. Unser Chatbot-Redaktionssystem reduziert die Komplexität der Prozesse: Es ist sehr einfach bedienbar und Redakteure lernen schnell, damit zu arbeiten. Zum Vergleich: Ohne Redaktionssystem betragen die Pflegeaufwände für Redakteure und Entwickler ungefähr jeweils die Hälfte. Mit dem Redaktionssystem erledigen Redakteure bis zu 95 Prozent der Aufgaben selbstständig und nur für die restlichen fünf Prozent werden IT-Experten benötigt.
Josef Humbert: Wir haben ein System entwickelt, dass intuitiv ist und von allen genutzt werden kann: von IT-Fachleuten über Redakteur*innen bis zu den Kolleg*innen im Marketing.
Viele Unternehmen haben sogar mehrere digitale Assistenten im Einsatz. Wie behalten sie dabei den Überblick?
Josef Humbert: Unser Redaktionssystem ist für den Einsatz mehrerer Chatbots ausgelegt und bietet ein übersichtliches Dashboard, das genau zeigt, welcher Bot mit welchen Inhalten gefüllt ist. Dadurch behält das Redaktionsteam den Überblick und bedient aus einer zentralen Lösung heraus mehrere Bots.
Ute Korinth: Ohne Redaktionssystem gibt es immer zwei Alternativen: Dies ist zum einen ein Riesen-Chatbot, der alles umfasst, aber sehr schnell unübersichtlich wird. Zum anderen lassen sich einzelne, kleine Lösungen realisieren, die dann allerdings nicht miteinander kommunizieren können. Das heißt, Inhalte bzw. Antworten können nicht zwischen den Bots ausgetauscht werden.
Unser Redaktionssystem verknüpft unterschiedliche Chatbots und Meta-Chatbots, die miteinander kommunizieren: Kann Chatbot A die Frage nicht beantworten, werden alle weiteren Chatbots befragt und dann antwortet gegebenenfalls Bot B. Das kann für den Nutzer sichtbar sein oder unbemerkt erfolgen. Dadurch ist das Wissensmanagement deutlich differenzierter und der verantwortliche Redakteur eines Bots kann sich auf seine Inhalte konzentrieren.
Ist es für den User wichtig, zu erfahren, dass ein anderer Chatbot antwortet?
Josef Humbert: Das ist vergleichbar mit einer Nicht-Chatbot-Kommunikation. Wenn ich bei einem Unternehmen anrufe, sagt mir ein Mitarbeiter auch „Dann verweise ich Sie an Mitarbeiter B.“ Wir raten zudem auch, dass sich der Bot zu erkennen gibt und keinen menschlichen Ansprechpartner mimt. Das würde dem Nutzer letztlich auch auffallen.
Ute Korinth: Um diesen Wechsel so einfach wie möglich zu gestalten, haben wir im Redaktionssystem verschiedene Schnittstellen integriert. Egal, welches Hintergrundsystem kommuniziert, alle Bots werden gleich eingesetzt. Gleichzeitig profitieren wir davon, dass sich die Erwartungshaltung normalisiert: Nutzer*innen gehen bei einem Bot nicht davon aus, dass er gleichwertige, individuelle Beratung liefert. Das heißt, es gibt eine neue, sehr einzigartige Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, die sich durchaus von der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation unterscheidet.
Nutzer*innen erkennen also den Unterschied zwischen den Chatbots anhand geänderter Formulierungen?
Ute Korinth: Wir können den Chatbot und seine Persona dem genutzten Medium anpassen. Abhängig vom Touchpoint werden unterschiedliche Antworten ausgespielt. Nehmen wir das Beispiel des Politik-Chatbots: Wir binden ihn auch über Facebook ein. Dort möchten die Nutzer*innen kein 25-seitiges Wahlprogramm lesen. Daher formuliert der Bot kurze Aussagen.
Welche weiteren Tipps gibt es für den Aufbau eines digitalen Assistenten?
Ute Korinth: Mir fällt oftmals auf, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen den Informationen, die ein Unternehmen vermitteln möchte, und den Informationen, die Nutzer*innen tatsächlich abfragen. Ein Chatbot, der Antworten parat hält, die keiner wissen möchte, ist weniger effektiv als ein Assistent, der zwar nur wenige Antworten liefert, aber damit 80 Prozent der Benutzer*innen glücklich macht.
Wie können Unternehmen das verbessern?
Josef Humbert: Unternehmen sollten ihre Zielgruppe genau kennen, diese definieren und Personas entwickeln. Entscheidend ist, dass die Hauptarbeit im Vorfeld stattfindet. Unternehmen müssen schlichtweg wissen, was ihre Kunden wollen.
Ute Korinth: Grundsätzlich sind alle kundenrelevanten Informationen sehr wertvoll. Die an den Kundenservice gestellten Fragen sind sicherlich nicht identisch mit den Fragen, die an den Chatbot gestellt werden. Aber diese Daten sind sehr aussagekräftig, um den Chatbot mit einem Erwartungshorizont zu befüllen, der dann mit Live-Daten angereichert wird.
Lässt sich das Redaktionssystem auch an andere Systeme wie zum Beispiel Salesforce anbinden?
Ute Korinth: Wir planen, das Redaktionssystem künftig auch an andere Systeme anzubinden. Damit können Unternehmen ihre redaktions- und kundennahen Prozesse noch effizienter gestalten.
Vielen Dank für das Gespräch!