Finanzverwaltung in NRW treibt Digitalisierung voran
Erstmals hat mit der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen (NRW) eine Behörde ihre internen IT-Serviceprozesse nach der ISO-20000-Norm zertifiziert. Damit wird auch nach außen sichtbar, dass die IT-Organisation ihre Leistungen in standardisierter und wiederkehrend hoher Qualität erbringt.
Mit ISO 20000 den IT-Service verbessern
Die Finanzverwaltung ist für die Festsetzung und Erhebung von Steuern in NRW zuständig und betreut rund 6,5 Millionen Steuerzahler. Sie umfasst u. a. über 130 Finanzämter, mehrere Schulen, ein Rechenzentrum, die Oberfinanzdirektion und das Ministerium der Finanzen selbst. Insgesamt arbeiten hier 28.000 Mitarbeiter. Die rund 1.200 IT-Fachkräfte sind an verschiedenen Standorten tätig, wie im zentralen Rechenzentrum der Finanzverwaltung (RZF), in den IT-Referaten des Ministeriums der Finanzen und der Oberfinanzdirektion sowie in den IT-Stellen der angeschlossenen Finanzämter. Trotz dieser dezentralen Struktur versteht sich die IT-Organisation als ein gemeinsamer und behördenübergreifend arbeitender Dienstleister, der zentral durch das Ministerium der Finanzen gesteuert wird.
IT-Anfragen effizienter bearbeiten
Die Grundlagen für die ISO-20000-Zertifizierung wurden bereits im Jahr 2009 gelegt, auf denen das Projekt „itPlus“ ins Leben gerufen wurde. Bei dem Projekt ging es beispielsweise darum, dass die Finanzverwaltung ihre IT-Dienstleistungen stärker an den Verwaltungsabläufen ausrichtet. Ziel der Einführung der ITIL-Grundsätze im IT-Service-Management in der Landesfinanzverwaltung war, die von den Anwendern zur Durchführung ihrer Aufgaben benötigten Dienste angemessen, gleichmäßig und störungsfrei unter dem Gebot des wirtschaftlichen Handelns verfügbar zu machen. Dabei wurde der gesamte Lebenszyklus von der Fachanforderung über die Anwendungsentwicklung bis zum Betrieb betrachtet. Vor allem aber sollten Probleme bei Anwendern schneller gelöst und Änderungswünsche an IT-Systemen rasch und effizient implementiert werden können. Daher wurde die Leistungserbringung der IT-Organisation an dem bewährten Best Practice-Ansatz ITIL ausgerichtet.
Mehr Transparenz durch ITIL
IT-Organisationen nutzen ITIL als Best Practice-Sammlung für das IT-Service-Management, um auf Basis der dort definierten Abläufe die eigenen Prozesse zu optimieren oder transparent und steuerbar aufzusetzen. Über die Verbesserung der Prozesse und die Standardisierung von Abläufen wurden auch in der Finanzverwaltung die Grundlagen geschaffen, diese Abläufe stärker zu automatisieren und klar definierte IT-Dienstleistungen in wiederholbarer Qualität effizienter erbringen können.
ISO 20000 zertifiziert die gesamte Organisation
Im Gegensatz zum ITIL-Framework, das nur die Zertifizierung einzelner Personen kennt, wird mit der ISO-20000-Norm das Service-Management einer Organisation zertifiziert. Dies erfolgt über eine offizielle Zertifizierungsstelle: Im Fall der Finanzverwaltung NRW übernahm dies der TÜV Süd, der Ende 2019 die externen Audits durchführte. Die kontinuierliche Verbesserung der IT-Prozesse und der Services in der Finanzverwaltung wird auch dadurch gewährleistet, dass diese externen Audits in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
Von den Erfahrungen der Finanzverwaltung NRW können auch andere Behörden – auch länderübergreifend – profitieren.
Die Gesamtstrategie im Blick
Bei der Weiterentwicklung der IT-Organisation war für die Finanzverwaltung NRW auch relevant, dass NRW gemeinsam mit den anderen Bundesländern innerhalb des sogenannten Konsens-Verbundes arbeitet. Diese Rahmenbedingung wurde bei der Einführung und Etablierung der Prozesse berücksichtigt. Dabei unterstützt das neu aufgebaute IT-Service Management auch die zugesicherte Serviceerbringung über die Landesgrenze hinaus. So wurden zum Beispiel Mechanismen in den Supportprozessen geschaffen, um die zunehmend von länderübergreifender Zusammenarbeit geprägte Leistungserbringung sicherzustellen und in hoher Qualität zu garantieren. Dazu werden zentrale Service-Level Vereinbarungen im ITSM genutzt und kontinuierlich verbessert. Weiterhin werden durch KONSENS entwickelte Architekturmodelle für die Servicemodellierung genutzt und auf die lokale Struktur adaptiert. Konsens steht für Koordinierte Neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung: Damit ist die abgestimmte Software-Entwicklung der verschiedenen Steuerbehörden gemeint. Das Ziel ist, die Steuer-IT bundesweit zu vereinheitlichen und zu standardisieren, sodass alle Bundesländer mit einer gemeinsamen Software arbeiten können. Das Vorhaben steuert aber auch die gesamte Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Digitalisierung der Steuerverwaltung. Die bekannteste Anwendung aus dieser Zusammenarbeit ist die elektronische Steuererklärung ELSTER.
Nicht nur vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig das IT-Modernisierungsprojekt für die Finanzverwaltung NRW war. Auch Reichweite, Umfang und organisatorische Auswirkungen des Vorhabens spielten eine wichtige Rolle, als die Detailplanungen im Jahr 2011 starteten. Nach einer europaweiten Ausschreibung, die der Dortmunder IT-Dienstleister Materna für sich entschied, konnte das Projekt initialisiert werden.
Materna hat die Finanzverwaltung bis zur finalen Zertifizierung dabei unterstützt, die Abläufe für das IT-Service-Management schrittweise zu verbessern und auch die dazu benötigten Software-Werkzeuge zu implementieren.
Schrittweise Umsetzung
Zu Beginn des Projektes itPlus bildete das Projektteam drei Prozessbündel, um die Standardisierung der IT-Service-Prozesse schrittweise vornehmen zu können. Gleichzeitig wurden über die Abbildung der Querschnittsthemen Schulung und Kommunikation wichtige Erfolgsfaktoren wie der Wissenstransfer und die Beteiligung der Behörden beachtet.
Im Jahr 2015 war es dann soweit: Das erste Bündel mit den Prozessen Incident und Problem Management, Request Fulfilment, Service Reporting, Continual Service Improvement sowie Configuration Management konnte von den Mitarbeitern produktiv genutzt werden.
Parallel dazu wurde in einem Drittel der Finanzämter eine neue Service-Desk-Organisation eingeführt, die zunächst über den Zeitraum von einem Jahr erprobt wurde. IT-Mitarbeitende aus verschiedenen Ämtern arbeiteten in virtuellen Service Desk-Teams und leisteten gemeinsam den regionalen Anwender-Support. Nachdem sich das Konzept des virtuellen Service Desks in der Erprobung bewährt hatte, wurde die Lösung ab dem Jahr 2017 auch an die übrigen Finanzämter ausgerollt.
Das zweite Prozessbündel ging im Verlauf des Jahres 2016 live und umfasste Prozesse wie Business Relationship, Service Level, Service Katalog und Anforderungs-Management sowie Change und Release Management. Im letzten Prozessbündel wurden die Themen Availability und Service Continuity, Capacity, Information Security sowie Supplier und Financial Management behandelt. Diese Prozesse wurden im Jahr 2018 erfolgreich eingeführt.
Um das angestrebte Ziel einer ISO-20000-Zertifizierung zu erreichen, wurde die gelungene Umsetzung der IT-Prozesse schon während der Projektlaufzeit regelmäßig überprüft.
Ergebnisse für die Support-Organisation
Durch die transparente und klar definierte Zusammenarbeit innerhalb der IT-Organisation wurde die Qualität des IT-Supports nachhaltig gesteigert. Es gelingt heute, mit gleicher Personenzahl einen deutlich verbesserten Service zu erbringen. Immerhin bearbeiten die IT-Experten jährlich rund 300.000 Tickets.
So steht mit dem Service Desk für alle Anwender der Finanzverwaltung nun ein klar definierter Eingangskanal für alle IT-bezogenen Anliegen bereit. Die virtuellen Service Desk-Strukturen bilden die Grundlage dafür, dass ein landesweit gleichmäßiger und angemessener Support zur Verfügung steht. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass auch die Arbeitsplätze im Service Desk für die IT-Mitarbeiter attraktiver geworden sind.
Transparenz ist der Schlüssel zum Erfolg
Verbessert haben sich auch der Wissenstransfer und die Zusammenarbeit innerhalb der IT-Organisation, wodurch sich viele Tickets effizienter lösen lassen. Die Erreichbarkeit und Erstlösungsquote im Service Desk hat sich mit der Prozesseinführung insgesamt erhöht. Auch wurde die adressatengerechte Kommunikation optimiert, beispielsweise durch eine schnelle Information bei Ausfällen, die auch eine professionell aufgestellte IT-Organisation nicht vollständig verhindern kann.
Apropos Transparenz: Dies gilt inzwischen auch für die Anforderung und den Beauftragungsweg für neue IT-Services und Änderungen an der bestehenden IT-Landschaft, für die Einbindung der Lieferanten, sowie für die Finanzmittelplanung und die nachvollziehbare Verwendung der Steuergelder.
Darüber hinaus informieren SLAs mit messbaren Kennzahlen transparent über die Qualität der erbrachten IT-Services. Aus Sicht des Managements sind die nun verfügbaren Kennzahlen, wie die Anzahl der Störungen, die Dauer der Fehlerbehebung oder die Leistungen von externen Lieferanten, eine wichtige Komponente für die Steuerung der IT-Organisation.
Know-how und Erfahrung von Materna
Innerhalb des Projektes erbrachte Materna Beratungsleistungen für das Prozess- und Service-Management auf strategischer und operativer Ebene. Für die Experten von Materna war es wichtig, die Behördenmitarbeiter im Sinne eines Coachings zu begleiten. Wo immer es möglich war, übernahmen die Mitarbeiter der Behörde weitergehende Entwicklungs- und Konzeptionsaufgaben. Auf strategischer Ebene unterstützte Materna die Verantwortlichen für das IT-Service-Management der Finanzverwaltung. Damit verbunden waren die Steuerung der übergreifenden fachlichen Themen über strategische Vorgaben, der Aufbau eines darauf ausgerichteten Berichtswesens und die Etablierung einer entsprechenden Gremienstruktur.
Fazit
„Mit der Einführung eines modernen Service-Managements reagiert die Verwaltung nicht nur auf den steigenden Bedarf einer professionellen und wirtschaftlichen IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse der Finanzverwaltung für Nordrhein-Westfalen. Vielmehr wird hier ein wesentlicher Schritt getan, die Digitalisierungsstrategie des Ressorts auch intern weiter voranzutreiben“, erläutert Andreas Hedderich, Referats- und Projektleiter itPlus im Rechenzentrum der Finanzverwaltung.
Die Steigerung der Bürgerfreundlichkeit ist ein wichtiges Ziel der Digitalisierung der Finanzverwaltung. Steuerpflichtige können Formulare bereits bequem digital ausfüllen und direkt online einreichen. Dies spart zum Beispiel Papier und Portokosten. Aber auch Unternehmen profitieren von einer digitalen Verwaltung, da sich elektronische Verfahren einfach schneller durchführen lassen. Um dieses Ziel zu erreichen war es notwendig mit einer starken IT-Organisation die erforderliche Basis zu schaffen. Die ISO-20000-Zertifizierung belegt, dass die Finanzverwaltung NRW ihre IT-Prozesse zur Erbringung ihrer IT-Services sicher beherrscht. Insgesamt ist das Ressort Finanzen in NRW auf die fortgesetzte Digitalisierung bestmöglich vorbereitet.