40 Jahre Materna
Die Computer-Industrie erlebte in den frühen 1980er Jahren ihre Blüte: Erst eroberte der Commodore C64 die Haushalte, dann wurde der IBM PC vorgestellt und später setzte der Apple Macintosh neue Maßstäbe mit seiner grafischen Oberfläche. Zu dieser Zeit, genauer im Jahr 1980, gründeten Winfried Materna und Helmut an de Meulen ihr IT-Unternehmen in Dortmund.
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40 Jahre Materna – wie alles begann
Im Interview sprechen wir über die spannenden Gründerjahre, welche Firmenphilosophie den Erfolg sicherte und warum die ersten unternehmerischen Schritte wohlüberlegt begannen. Die Gründer entschieden sich gegen eine Hochschullaufbahn und wagten den Schritt in die Selbstständigkeit. Ein erster Beratungsauftrag von Nixdorf für Winfried Materna bot eine sichere Ausgangsbasis, weitere Aufträge von Siemens folgten.
Herr Dr. Materna, Herr an de Meulen, Sie haben 1980 ein IT-Unternehmen gegründet. Damals standen in Büros noch Schreibmaschinen und vereinzelt erste Computer-Terminals mit Schriftzeichen, die in hellem Grün leuchteten. Wo haben Sie denn damals die IT-Experten gefunden?
Dr. Winfried Materna: Wir waren beide an der Universität Dortmund tätig und dort gibt es schon seit Ende der 1960er Jahre den Fachbereich Informatik. Wir haben einfach Studenten als freie Mitarbeiter angeworben. Und natürlich nur die Besten ausgesucht (lacht).
Helmut an de Meulen: Es war in der Tat gar nicht so schwer, neue Mitarbeiter zu finden. Informatikstudenten haben uns damals prima bei der Programmierung unterstützt, während wir beispielsweise Beratung und Vertrieb übernommen haben. So waren wir in der Lage, selbst als Zwei-Mann-Unternehmen große Aufträge von Kunden wie Siemens oder Nixdorf zu stemmen.
Mit fortschreitender Expansion kamen mehr feste Mitarbeiter hinzu und Sie haben neue Standorte in ganz Deutschland gegründet. Wie gelang Ihnen die Organisation des Wachstums?
Helmut an de Meulen: Bei niedrigen zweistelligen Mitarbeiterzahlen kann man einiges noch selbst erledigen. Später haben wir die Anzahl der Teamleiter weiter ausgebaut und an den neuen Standorten haben die Manager vor Ort die Verantwortung übernommen. Insofern haben wir uns nicht wesentlich von anderen Unternehmen unterschieden.
Auch wenn Sie klassisch gewachsen sind, muss es etwas gegeben haben, was Sie anders machten...
Helmut an de Meulen: Also wir haben zum Beispiel bei den Einstellungen auf das richtige Mindset der Mitarbeiter geachtet. Für uns war es wichtig, Menschen zu finden, die wirklich zu uns passen. Bei unseren ersten Entwicklungsprojekten haben wir häufig bis tief in die Nacht gearbeitet. Das geht nur, wenn Menschen zufrieden und motiviert sind.
Dr. Winfried Materna: Ja, da kann ich nur zustimmen. Was uns schon damals ausgezeichnet hat, ist die hohe Zufriedenheit unserer Mitarbeiter. Wir hatten einfach sehr spannende Projekte und gaben unseren Mitarbeitern sehr viele Freiräume zur Gestaltung. Unser Team war hoch motiviert und so waren auch unsere Projekte sehr erfolgreich.
Wie ging es mit dem Wachstum weiter? Ab einer bestimmten Größe kann man gar nicht mehr selbst auf allen Kundenterminen oder Vorstellungsgesprächen dabei sein.
Dr. Winfried Materna: Wir hatten irgendwann die magische Zahl von 100 Mitarbeitern überschritten. Dann sind wir auch an den damals neuen Standort in Dortmund gezogen, an dem wir heute noch unseren zentralen Firmensitz haben. Für uns war es auch bei wachsenden Mitarbeiterzahlen wichtig, innerhalb der Belegschaft eine Kultur des Vertrauens zu schaffen. Also Vertrauen darin, dass unsere Mitarbeiter die an sie gestellten Aufgaben weitgehend eigenständig umsetzen. Diese Freiheiten bei der Durchführung von Projekten haben wir uns bis heute erhalten und das hilft natürlich dabei, sich selbst ein Stück aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen.
Helmut an de Meulen: Mit der Zeit haben wir gelernt, an welchen Stellen in Projekten es sinnvoll ist, sich über den Stand im Detail zu informieren. Und unsere Kunden haben uns immer wieder Rückmeldung gegeben, wie zufrieden sie mit den Projekten sind. Irgendwann haben sich unsere Controlling-Aufgaben darauf beschränkt, die Angebote zu prüfen sowie die wirtschaftliche Durchführung der Projekte zu überwachen.
Dr. Winfried Materna: In der Tat liegt die Zeit, als wir noch Software-Projekte im Detail nachvollziehen konnten, schon ziemlich lange zurück.
2015 erfolgte dann die Zäsur. Sie haben sich beide nach 35 Jahren aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Ein emotionaler Moment für Sie beide?
Helmut an de Meulen: Für mich war dieser Moment bereits die Weihnachtsfeier im Jahr 2014. Als die Kollegen und Kolleginnen anfingen, Abschiedsreden zu halten und mir klar wurde, dass dies meine letzte Feier in meiner Funktion als Geschäftsführer sein würde. Das war schon sehr emotional für mich.
Dr. Winfried Materna: Wir engagieren uns ja immer noch stark im Beirat bzw. im Aufsichtsrat des Unternehmens. Unsere Geschäftsführung empfand es damals schon als recht ungewöhnlich, dass sich die Gründer weiterhin so aktiv einbringen. Heute, also fünf Jahre später, stelle ich tatsächlich fest, dass ich mehr Abstand gewonnen habe. Insofern war es für mich ein fließender Prozess, ohne einen emotionalen Höhepunkt zu einem bestimmten Stichtag.
Blicken wir noch einmal zurück. Hatten Sie denn schon bei der Gründung damit gerechnet, dass Ihr Unternehmen so erfolgreich sein würde?
Dr. Winfried Materna: Nein, damals haben wir nicht über Dekaden hinweg geplant und hatten nur die direkten Folgejahre auf der Agenda. Heute hat unsere Geschäftsführung dagegen die kommenden fünf Jahre im Blick. Wir wussten auch gar nicht, wie sich unsere Projekte entwickeln würden. So haben wir in den frühen Gründerjahren in einem Projekt ein industrielles Robotersystem an einen Großrechner angeschlossen, um damit ein Speicherarchiv mit Magnetplatten zu automatisieren. Heute nennt sich das Industrie 4.0. So etwas kann man nicht vorhersehen. Auch den rasanten Erfolg der SMS konnten wir nicht vorhersagen. Das Glück zu haben, am richtigen Ort zur richtigen Zeit mit den richtigen Projekten einzusteigen, gehört zum Geschäftserfolg einfach mit dazu.
Helmut an de Meulen: Glück und einen Instinkt für den richtigen Geschäftsabschluss. Ich habe einmal aus dem fahrenden Auto heraus mit einem internationalen Konzern über das Budget für ein Großprojekt verhandelt, ohne die finanzielle Schmerzgrenze der Gegenseite präzise zu kennen. Erst nachträglich wurde mir klar, dass ich für uns den bestmöglichen Preis verhandelt habe.
Dr. Winfried Materna: Im Geschäftsleben ist es häufig wie beim Fußball. Kleinigkeiten bestimmen darüber, ob der Ball ins Tor geht und man ein Spiel gewinnt. Wir hatten einmal das Glück, ein Tochterunternehmen aus dem Bereich Mobilfunk gerade noch rechtzeitig vor dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 an einen ausländischen Investor verkaufen zu können und somit ohne Verluste aus dieser Investition herauszukommen.
Die Dotcom-Blase war ja auch ein Eldorado für Glücksritter und hat viele Unternehmen in den Ruin getrieben.
Dr. Winfried Materna: Damals haben wir viele, viele Dollar vor unseren Augen vorbeiziehen sehen. Im Jahr 2000 waren wir kurz vor einem Börsengang. Dann haben wir rechtzeitig für uns erkannt, dass dies womöglich nicht gut ausgehen könnte. Damals wie heute sehe ich Geschäftsmodelle am Markt, die aus meiner Sicht nicht wirklich nachhaltig sind. Und trotzdem schaffen es solche Unternehmen, dass sie sogar im DAX gelistet werden.
Helmut an de Meulen: Für uns war es aber auch wichtig, dass unser Unternehmen immer auf verschiedenen Standbeinen steht. Dies hat uns in Krisen geholfen. Wie im Jahr 2008, als die Finanzkrise viele unserer Kunden traf. Die E-Government-Projekte mit Behörden sind jedoch weitergelaufen, was uns geholfen hat, die Rückgänge aus der Wirtschaft zu kompensieren.
Haben Sie Risiken bewusst gemieden?
Helmut an de Meulen: Man kann schon sagen, dass wir unternehmerisch konservativ unterwegs waren. Und dass, obwohl wir in einem sehr innovativen Markt unterwegs sind, der ständig neue Technologien hervorbringt. Für uns war es aber immer wichtig, die notwendige Liquidität zu erhalten.
Dr. Winfried Materna: Sicher gehört es auch zu unserem Erfolg, dass wir möglichst profitable Geschäfte getätigt haben und größere Risiken bewusst eingegangen sind. Allerdings ist der beste Garant für den wirtschaftlichen Erfolg, dem Kunden eine hohe Qualität zu liefern. Mit dieser Einstellung haben wir uns im Laufe der Zeit eine sehr gute Reputation am Markt erarbeitet.
Wenn Sie einen Blick in die Vergangenheit werfen, was würden Sie heute anders machen?
Helmut an de Meulen: Die Zeit in den 1980er Jahren war einfach komplett verschieden zu heute. So musste ich den ersten Geschäftstätigkeiten parallel zu einer Teilzeittätigkeit an der Universität nachgehen. Die Anerkennung für einen Schritt in die Selbstständigkeit war gering. Es herrschte noch ein wenig der Geist der 68er-Bewegung, der in uns Turbo-Kapitalisten gesehen hätte (lacht). Zudem gab es keine Finanzierungsmöglichkeiten wie heute. Wir mussten also unser Unternehmen schrittweise aufbauen, denn wir wollten uns nicht in Abhängigkeit begeben.
Dr. Winfried Materna: Tatsächlich gibt es kein generelles Erfolgsmodell, um als Unternehmer erfolgreich zu sein. Es gab damals einfach keine Möglichkeiten, Dinge anders zu machen.
Aber sicher haben Sie Tipps für Jungunternehmer, die heute ein Technologie-Startup gründen möchten.
Dr. Winfried Materna: Die berühmten US-Garagenfirmen aus den frühen Anfangstagen der IT-Industrie sind ähnlich gestartet wie wir. Zwar wurden dort überwiegend Produkte entwickelt, während wir Dienstleistungen anbieten. Wer jedoch eine Idee hat, sollte ausreichend in Marketing und Vertrieb investieren. Das ist etwas, was uns viele US-Firmen voraushaben. Weiterhin gehört viel Mut dazu, ein neues Unternehmen zu gründen. Jungunternehmen sollten daher den Mut aufbringen, einen Fehler einzugestehen, wenn der Markt ihre Idee nicht annimmt. Kapital ist jedenfalls ausreichend am Finanzmarkt verfügbar. Daher mein Tipp: Nur Mut, traut euch etwas zu und vergesst nicht Vertrieb und Marketing!
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