Die Jahre 1980 bis 1990
Küche statt Gründergarage: die Erfolgsgeschichte von Materna beginnt im Essbereich einer Dortmunder Souterrain-Wohnung, der gleichzeitig als Büro dient. Der erfolgreiche Start verlangte schon kurze Zeit später den Umzug in größere Büroräume. Beim Einzug war nicht zu übersehen, dass im Gebäude zuvor eine Bäckerei ansässig war – aber auch bei Materna wurden in den Anfangsjahren noch kleine Brötchen gebacken.
Die Reise beginnt
Das Team um die Firmengründer Dr. Winfried Materna und Helmut an de Meulen war anfangs eine kleine Gruppe hochspezialisierter IT-Experten. PCs, E-Mail oder Smartphones gab es zu dieser Zeit nicht. „Auf unseren Schreibtischen standen tatsächlich keine Computer“, erzählt Uwe Scariot, der seit 1983 dabei ist und inzwischen den Geschäftsbereich Digital Transformation leitet.
Rechner waren in zentralen Rechnerpools zusammengefasst. Dort arbeiteten mehrere Kollegen. „Hin und wieder kam Winfried Materna vorbei, setzte sich neben uns Programmierer und schaute sich an, was wir so machen“, weiß Uwe Scariot zu berichten. Ähnlich ist es der Kollegin Dorothe Zimmermann ergangen, heute Projektleiterin. Winfried Materna kam an ihrem ersten Arbeitstag vorbei und sagte: „Sie haben heute neu angefangen. Erzählen Sie doch einmal, was Sie machen.“
Unterhaltsame Anekdoten aus der Gründerzeit kann auch Martin Köpke, langjähriger Geschäftsbereichsleiter bei Materna, liefern. Er hat nämlich Umzugskartons geschleppt, da zeitgleich mit seinem ersten Arbeitstag – dies war der 1. März 1985 – das junge Unternehmen erneut größere Büroräume bezog. Diesmal waren es nicht nur drei Büros, sondern gleich eine ganze Etage. Fünf Jahre später, also im Jahr 1990, wurde dann das eigene Firmengebäude in Dortmund bezogen, in dem Materna auch heute noch sitzt.
Doch zurück in die frühen 1980er Jahre: Einige Projekte bestanden darin, Peripherie für IBM-Großrechner nachzubauen. In den Büros standen damals noch Terminals. Als Alternative zu den bekannten 3270-Terminals von IBM stellten damals beispielsweise Siemens und Tandberg Data eigene Terminals her. Die Aufgabe von Materna bestand nun darin, die Software zu entwickeln, damit sich deren Geräte wie die Originale verhalten. Materna galt damals als das führende Softwarehaus für 3270-Emulationen, also von Nachbauten von IBM-Hardware, aber auch für viele andere Terminalfamilien der anderen Großrechnerhersteller wie etwa UNISYS, Bull, CDC, PDP und Siemens. Zu den Kunden in diesem Umfeld gehörten später auch Fluggesellschaften, was den Grundstein für das heutige Aviation-Geschäft legte.
Uwe Hoch, der seit dem Gründungsjahr im Unternehmen arbeitet und heute die interne IT verantwortet, erinnert sich:
„Die Anpassung dieser Geräte, damit sie sich wie ein IBM-Terminal verhalten, war ziemlich umständlich zu programmieren und so war unsere Expertise am Markt sehr gefragt“.
In das Thema 3270-Emulationen war Unternehmensgründer Helmut an de Meulen eng eingebunden und hat etwa alle Anforderungsspezifikationen erstellt.
Aber es sollte nicht lange dauern, bis die ersten Anzeichen der PC-Revolution auch Materna erreichten: Die Kollegen erinnern sich noch gut, wie Winfried Materna Anfang der 1980er Jahre eines Tages ins Büro kam und erzählte, dass mit MS-DOS jetzt ein wichtiges neues Betriebssystem verfügbar sei. Neu war auch der C-Compiler. Das noch unbekannte Betriebssystem für die damals aufkommenden PCs und der neue C-Compiler mussten nun an IBM-Großrechner angeschlossen werden – nur eine der damaligen Aufgaben von Materna.
In den Folgejahren wurden bei Materna die ersten reinen Software-Produkte entwickelt. Dazu zählten beispielsweise IT-Lösungen für Krankenhäuser und zur Verwaltung und Auswertung von Labordaten. „LDV/Net und X-Lab waren Produkte, die aus einer Projektlösung entstanden sind und die wir nach einigen Jahren nicht fortgesetzt haben“, erzählt Martin Köpke. Andere Projekte führten dagegen zu langfristig erfolgreichen Lösungen: Die Seminarverwaltung Orbis, die Client-Management-Software DX-Union und HyperDoc, eine Anwendung für das Dokumenten-Management, sind Ende der 1980er Jahre entstanden und werden heute noch in aktuellen Versionen erfolgreich vermarktet.
Innovationen für die Fleischwirtschaft
Ein weiteres spannendes Projekt fand damals bei einem fleischverarbeitenden Betrieb statt. Hier half Materna bei der Konzeption von intelligenten Waagen und Haken, um die Produktionssteuerung und Nachverfolgbarkeit von Schweinehälften zu erreichen. Ein solches Projekt wäre heute unter dem Begriff Internet of Things bekannt und würde für höchste Innovation stehen. „Für diesen Kunden haben wir verschiedene Konzepte geschrieben und teilweise auch umgesetzt“, erinnert sich Dieter Steinwender, heute Projektmanager im Geschäftsbereich Public Sector und ergänzt: „Eigentlich wurde ich für das Projekt Terminal-Netz Uni HH (TN-HH) an der Universität Hamburg beschäftigt, das auf wenige Monate terminiert war. Daraus sind dann stolze 39 Jahre bei Materna geworden. Die ersten Konzeptgespräche für das Projekt fanden tatsächlich in der Küche von Winfried Materna am 2. Weihnachtstag 1981 statt. Bei den Folgebesprechungen haben wir dann beim Entsorgen eines verschlissenen Sofas mit angepackt.“
Banken-IT erlebt das Ende der Lochkarten
Sehr anspruchsvoll waren zudem die Großrechnerprojekte, die Materna damals im Bankensektor durchführte. Da ging es beispielsweise um Migrationsprojekte im Umfeld der Abrechnung von Börsenhandelsgeschäften. Viele Banken setzten noch Lochkarten-Systeme ein und Materna half dabei, moderne Siemens BS2000-Systeme zu implementieren.
„Wir haben Berge von Cobol-Programmen vom Lochkarten-Batch zur Dialog-Anwendung migriert“, erinnert sich Uwe Hoch, damals noch in Kundenprojekten tätig. „Die Kunden wollten ein moderneres System haben. Sie wollten Terminals für Multiuser und den Multitasking-Betrieb. Auch das Look & Feel war ihnen erstmals wichtig.“
Langjährige Kundenbeziehung gestartet
Die Innovationskraft der jungen Gruppe zeigte sich dann auch in den zahlreichen Projekten für die digitale Verwaltung. In den 1980er Jahren gelang es, erste Kontakte zum Bundesfinanzministerium zu knüpfen. Daraus entstanden Lösungen für die Liegenschaftsverwaltung, für das Vermögenszuordnungsgesetz und für die Fehlbelegungsabgabe. Die erfolgreiche Arbeit führte einige Jahre später zu einem echten Großprojekt: ATLAS. Das ‚Automatisierte Tarif- und Lokales Zollabwicklungs-System‘ wurde von Materna entwickelt und hat das elektronische Zeitalter bei der Zollverwaltung eingeläutet. Bis heute ist ATLAS das Projekt mit der längsten Laufzeit bei Materna.
In den Anfangsjahren lief die Kommunikation mit den Kunden komplett anders als heute.
„Unsere Kunden haben einfach angerufen oder eine der zahlreichen Messen besucht, auf denen wir unsere Software-Produkte gezeigt haben“,
sagt Uwe Scariot. In den ersten Geschäftsjahren waren es insbesondere Unternehmen wie Siemens und Nixdorf, die regelmäßig für neue Aufgaben sorgten.
Frühes Beispiel für Industrie 4.0
Erfolgreich lief es Ende der 1980iger Jahre auch mit dem Tochterunternehmen Comstar, einer 50-prozentigen Beteiligung. Gebaut wurde ein robotergesteuertes Magnetband-Archivsystem mit der Aufnahme von mehr als 10.000 Magnetbandkassetten und dem automatischen Laden bzw. Entladen von IBM-Magnetbandsystemen mittels eines Industrieroboters. Mehr als 100 Systeme wurden über das Unternehmen Comparex verkauft und liefen viele Jahre erfolgreich in den Rechenzentren. Materna entwickelte die Robotersteuerung und die Anbindung an die IBM-Großrechner. Das ist ein frühes Beispiel für Industrie 4.0.
Eine Firmenphilosophie wird geboren
In einem Punkt sind sich die Kollegen einig: Es war in all den Jahren immer sehr spannend, bei Materna zu arbeiten. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen hohen Freiheitsgrad bei der Projektrealisierung und wir können selbstständig entscheiden, wie wir eine Aufgabe umsetzen möchten“, erzählt Dorothe Zimmermann. So hat sich seit Firmengründung eine Philosophie entwickelt, bei der Menschen im Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns stehen.